Sehr geehrter Herr Guderjan, Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wer heute einen Zustand als unmöglich , unglaublich oder unerträglich bezeichnen möchte nennt ihn gerne mittelalterlich. Denn, so weiß man doch, zwischen dem Mittelalter und dem Heute hat eine französische Revolution die Menschen gleich gemacht, ein Nietzsche Gott zur Abdankung veranlasst und keine adlige Jagdgesellschaft reitet heute noch fröhlich über Felder auf denen das Korn im vollen Wuchse steht. Das Zoon Politikon fühlt sich mündig und aufgeklärt, sieht seine Zeit als mehr oder weniger frei und gerecht an, dank des Fortschritts, der zwar hin und wieder eine kleine Delle bekommt, aber insgesamt gerade nach oben steigt.

Der Fortschritt scheint unaufhaltbar zu sein. Und nicht nur Menschen auf Diät bekommen Magenverstimmung, wenn sie hören, was ein englischer Monarch, auf Kosten seiner Untertanen, seinen Gästen noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts auftischte: Neben dem Hasen gab es da Geflügelsuppe mit Profiteroles, Hotchpotch mit Rindfleisch, Kalbsnuss, weiß, Huhn mit Erbsen, Lammrücken, Kapaun, Frikassee von jungen Tauben, Lachs, Huhn mit Eiern, gekochte Enten mit Rebhuhn, Karpfen in Soße, Artischocken, grüne Bohnen und Schinkenomelett.

Ein bestenfalls kurioses Zeitalter mit Zuständen, die eben mittelalterlich genannt werden und im Übrigen weit weg zu sein scheinen; in einer finsteren Zeit.

Doch hatte das Mittelalter für die Bevölkerung nicht nur Fastentage sondern erheblich mehr Feiertage als unsere Zeit. Buß- und Bettag, das war einmal; Ostermontag und Pfingstmontag, das wird wohl bald auch einmal gewesen sein. Denn modern und fortschrittlich, so die Protagonisten der veröffentlichten Meinung, ist es, wenn schon die Menschen nicht tatsächlich gleich sein können, eine Nivellierung der Zeit: 7 gleiche Tage in 52 Wochen, gleich und beliebig verfügbar. Das ist der Preis, hört man, der für eine freie Gesellschaft bezahlt werden muss. Frei und ohne adlige Jagden über wogende Felder. Tatsächlich?

Bei den diesjährigen Haushaltsberatungen haben wir 120.000 € aus dem Haushaltsplanentwurf gestrichen. Mit diesem Geld, sollte die Sanierung des Schulhofes der Grund- und Hauptschule abgeschlossen werden. Geld, das wir tatsächlich eigentlich nicht haben. Eigentlich.

Aber wie war das mit der adligen Jagdgesellschaft. Da rauschte neulich durch Freiburg und den Kaisersstuhl eine Jagdgesellschaft in Form von Nato-Generälen in Damenbegleitung, die die Untertanen, pardon, das heißt heute Steuerzahler, 120.000 € gekostet hat. Ein Ausflug mit Dame, finanziert mit dem Geld, das wir für die Neugestaltung des Schulhofes gebraucht hätten. Als ob es in Brüssel oder anderswo keine Arbeitszimmer gäbe. Nur am Rande sei angemerkt, dass für das Treffen der G8 Statten 100.000.000 € veranschlagt werden. Anscheinend ist das Mittelalter doch noch nicht so weit weg.

Und selbst wenn argumentiert wird, es seien nur Personenstunden, die sowieso angefallen wären, weil das Personal nun einmal da ist, schlechtestenfalls seien es Arbeitsstunden, die als Überstunden abgebaut werden dürfen, so ist hier anzumerken, dass diese Art der Haushaltsrechnung unterhalb der Ministerialebene schon lange nicht mehr aktuell ist. Wer z.B. den Bauhof beansprucht, sollte das nicht tun, mit der Begründung, dass dort das Personal ohnehin vorhanden sei. Auch der Reisepass und andere Selbstverständlichkeiten sind Dienstleistungen, die heute extra bezahlt werden müssen. Und konkret hat der Familienausflug der Generäle Auswirkungen auf uns, vor Ort, in Kenzingen. Überstunden bei der Polizei treffen irgendwann einmal die Beamten vor Ort und damit auch die Bevölkerung. Trotz aller Statistik und Schönwetterreden würde ich der Aussage, das Leben ist insgesamt sicherer geworden, nicht zustimmen. Ein Vier-Sterne-Ausflug mit Damen wird mit viel Personal gesichert und wir lesen dann in der Presse, dass z.B. am Bahnhof wieder 30 Fahrräder demoliert worden sind. Das ist nicht die Sicherheit, die wir erwarten dürfen.

Die ABL hätte die Sanierung des Schulhofes gerne abgeschlossen und nicht auf unbestimmte Zeiten verschoben. 120.000 € sind kein Pappenstiel und es ist es legitim zu argumentieren, dass für diese Maßnahme sei kein Geld vorhanden sei. Das stimmt. Deshalb waren wir bereit, für den Abschluss der Schulhofgestaltung der Grund- und Hauptschulen ein Straßenprojekt zu verschieben. Die notwendige Unterhaltung hätte auch noch 2008 oder 2009 ausgeführt werden können

Eine weitere Zahl mit 100.000.

Im vergangenen Jahr konnten wir einen Wunsch von Eltern aus Bombach nicht erfüllen. Diese hatten beantragt, den vom Landkreis eingeführten Eigenanteil für Fahrtkosten in die Grundschule mit kommunalen Geldern zu finanzieren. Wir hätten wohl alle gerne, aber konnten und durften nicht, nämlich dem Antrag entsprechen. Wir hatten auch darauf hingewiesen, dass Schülerbeförderung grundsätzlich eine Aufgabe der Landesregierung ist. Sei es, dass sie diese organisiert oder sei es, dass sie alternativ die notwendigen Mittel aus den allgemeinen Steuereinnahmen bereitstellt. Und da alle öffentlichen Ausgaben letztendlich von den Bürgern durch Steuern und Abgaben finanziert werden, muss derjenige die Aufgabe übernehmen, der für sich die Einnahmen einbehält.

Kenzingen beteiligt sich über Abgaben an den Landkreis schon erheblich an der Finanzierung des Nahverkehrs und der Schüler-Regionmonatskarte. Kann oder muss eine Gemeinde nun sämtliche Streichungen des Kreis- und Landtages ausgleichen. Ob sie muss, sei dahingestellt. Sicher aber ist, sie kann es nicht. Denn – und jetzt komme ich auf die 100.000 zurück - schon stünde ein neuer Ausgleichsfall an. Die Bundesbahn wird - in Zusammenarbeit mit Landes- und Bundesregierung oder als logische Konsequenz aus deren Beschlüsse - mit dem Fahrplanwechsel Mai 2007 100.000 Fahrtkilometer auf der Rheintalbahn streichen. Auch wenn dies noch nicht den Zusammenbruch des Nahverkehrs bedeutet, so ist es doch ein radikaler Wechsel in der Nahverkehrspolitik in der Breisgau-S-Bahn-Region. Statt Verbesserung erleben wir nun zum ersten Male wieder ein Zurück. Und das, obwohl die Nahverkehrszüge zum Teil erheblich überfüllt sind. Und das, obwohl der Ausbau der Rheintalbahn und die zusätzlichen Belastungen der Anwohner auch mit einer Verbesserung des Nahverkehrsangebotes begründet wurde. Die Bundesbahn würde das Angebot beibehalten, sagt sie, wenn Kreise und Gemeinden die gestrichenen Bundesmittel ausgleichen. Aber auch hier können wir den berechtigten Interessen der Berufspendler nicht entsprechen und Fahrkilometer zurückkaufen.

Natürlich gibt es auch in dem zur Abstimmung stehenden Haushaltsplan 2007 durchaus einige Posten, die gestrichen werden könnten, um damit Eigenanteile zu finanzieren, Bahnkilometer zu kaufen, Bildungsangebote in den Schulen zu schaffen, Kindergartenbeiträge zu senken oder um Betreuungszeiten in Schulen und Kindergärten zu erweitern. Dafür könnte zum Beispiel die Kunst gestrichen und bei der Unterhaltung gespart werden, oder es könnte die Innenstadt durch eine Reduzierung von Bäumen und Blumen farbloser machen. Aber wie viel streichen. Und wenn, wo sollen die eingesparten Gelder dann eingesetzt werden? Und bliebe es nicht nur ein Tropen auf dem heißen Stein? Und wäre das wirklich das, was 9000 Bürgerinnen und Bürger wirklich wollen. Wir glauben nein, weil alle und alles angemessen berücksichtigt werden muss.

Kritisch müssen wir die Neuverschuldung sehen. Wir stimmen heute zu, weil mit dem Investitionsprogramm ein Weg gewiesen wird auf dem die Fehlbeträge ausgeglichen werden können und der ab 2009 ein Ausstieg aus der Schuldenfalle vorsieht. In Einzelfällen muss mit Krediten für die Zukunft investiert werden muss. Selten gelingen betriebliche oder kommunale Investitionen mit Rücklagen oder aus der Portokasse, das ist unbestritten. Aber leider mutierte der Kredit vom ungeliebten Kuckucksei zum legitimen Bruder der Finanzzuweisungen, Abgaben und Steuern. Wohin diese Art der Finanzpolitik führt haben wir vor kurzem, zum Glück als Außenstehende, in Freiburg beobachten dürfen.

Eine gewisse Zeit sind Schulden nur eine statistische Größe, die im Haushalt hin- und hergeschoben werden kann. So ähnlich wie die Melonen in der Lebensmittelstatistik der DDR: bei Gemüseknappheit wurden sie einfach statt dem Obst dem Gemüse zugerechnet. Und schon war die Versorgung gesichert. Aber mit Blick auf den Gemüsekorb von Bund, Ländern und Gemeinden muss man heute feststellen: Kein Kredit ist eine Investition in die Zukunft. Oder mit den Worten von Herrn Mappus: Nullverschuldung ist nicht nur ein wirtschaftliches sondern auch ein moralisches Gebot.

Unmoralisch wird es aber dann, wenn Politiker meinen, der Moral sei schon Genüge getan, wenn über dieses Thema immerhin geredet wird. Von Politikern verlangen wir ein wenig mehr. Vor allem sollte nicht nur über Strukturreformen gesprochen sondern diese auch tatsächlich gemacht werden. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer ist in meinen Augen jedoch keine die Staatsfinanzen ordnende Strukturreform. Nun kann eine Mehrwertsteuer vom Prinzip her durchaus immer weiter erhöht werden. Auch 119% wären möglich. Wie der Hebesatz der Grundsteuer auch auf 400 steigen kann. Anders ist dies bei Steuern und Abgaben auf Einnahmen. 119% bei Krankenversicherung, Lohnsteuer oder Arbeitslosenversicherung ist aus verständlichen Gründen nicht möglich. Höchstens es gäbe Banken, die die 19 Punkten über den Hundert finanzieren würden. Also müssen hier irgendwann einmal echte Strukturreformen gemacht werden. Und die sind auch aus Sicht der Gemeinde unbedingt notwendig.

Beispiel Gesundheitssystem. Die Schließung des Herbolzheimer Krankenhauses hat Auswirkungen, die über den privaten Bereich hinausgehen. Sie betrifft auch die Kommunen. Sei es über die Organisation des Nahverkehrs – weil die Versorgung nicht mehr, wie eigentlich wünschenswert, in der Nähe des Wohnortes stattfinden kann – sei es über die Unterstützung von ehrenamtlichem Engagement, wenn Betreuungslücken, besonders für ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger, geschlossen werden müssen.

Wo bleibt hier die Strukturreform, die verhindert, dass die Angebote immer weiter entfernt sind und dafür immer teuerer und schlechter werden? Ohne das auf den Cent genau angeben zu können, bin ich der Überzeugung, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Krankenversicherungsbeiträgen genug Mittel bereitstellen. Notwenig sind endlich echte Strukturreformen, bei der Bildung und im Gesundheitswesen. Wenn der Vorsitzende der Ärzteschaft im Landkreis Marc Kuben beim Protestzug der Ärzte die große Koalition eine „Koalition der Blindgänger“ nennt, klingt da auch viel von Eigeninteresse mit, das ich als Kommunalpolitiker und Beitragszahler so nicht unterstützen würde. Aber doch muss Reform mehr sein, als lediglich Bettenreduzierung und Beitragserhöhungen. Man wünscht sich eine lobbyistenfreie Beratungszone, durch die alle Entscheider durchgehen müssten. An andere Stelle wurde gesagt, Ärzte und Patienten säßen im gleichen Boot. Dem kann man nur zustimmen. Sogar die Pharmaindustrie sitzt noch drin und noch andere. Das Problem ist, die Ruder sind ungleichmäßig verteilt. Vielleicht sollten auch einmal andere rudern müssen, und nicht immer nur die beitragszahlenden Patienten. Das wäre nicht nur für die Gesundheitspolitik ein Vorschlag aus der Kommune an die Strukturreformer in Bund und Land.

Wer sich grundsätzlich über Lasten beklagt, die eine Gesellschaft von den einzelnen Mitgliedern verlangt, muss in letzter Konsequenz auf den Mond ziehen. Aber eine gerechte Lastenverteilung darf eingefordert werden und das gilt auch für den Ausbau des Schienenverkehrs. Wir halten die Forderungen der Bürgerinnen und Bürger aus Kenzingen für gerechtfertigt. Aus diesem Grund unterstützt die ABL das finanzielle und organisatorische Engagement der Gemeinde Kenzingen gegen die vorgelegte Planung. Dass dies nicht überall so gesehen wird ist verständlich. Auch ein ehemaliger Oberbürgermeister von Emmendingen darf anderer Meinung sein. Doch hat man hier den Eindruck, dass der Blick aufs Ganze von einer hundert Meter hohen Stadtmauer um Emmendingen behindert wird. Was wir aber nicht akzeptieren, ist das völlige Abtauchen führender Landespolitiker und Bundestagsabgeordneter. Ein Bundestagsabgeordneter aus Südbaden kann – auch wenn er einer Partei mit dem „C“ im Namen angehört – keine Wunder in Berlin bewirken. Aber eine Position sollte er schon haben. Und wenn in Kippenheim, in Ringsheim, in Herbolzheim, in Kenzingen und Emmendingen die Meinungen zum möglichen Trassenverlauf einer neuen Bundesbahnstrecke nicht konform sind, so dürfen wir von einem Abgeordneten verlangen, dass er nach Abwägung aller möglichen Trassen und der mit ihnen einhergehenden Belastungen für die Bürger die insgesamt verträglichste Variante unterstützt. Und dies auch sagt. An allen Orten. Selbstverständlich könnte er sich auch gegen Kenzingen entscheiden. Nur wissen wollen wir es.

Opposition ist die Kunst, das zu versprechen, was die Regierung nicht halten kann. In diesem Sinne gab es schon immer große Künstler. Leider kommt dann hin und wieder ein Regierungswechsel und aus dem Heldentenor wird ein Statist.

Auch wenn er jedes Jahr erfolgt, ist er doch nicht nur ein Ritual. Der Dank. Wir danken Ihnen Herr Guderjan und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gemeinde Kenzingen für die von ihnen geleistete Arbeit und für die gute Zusammenarbeit im vergangenen Jahr.

Ebenso danken wir allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich im vergangenen Jahr in vielfältiger Weise für Kenzingen engagiert haben.

Ein besonderer Gruß und ebenfalls ein Dank richten wir heute an Herrn Bührer. Es ist der erste Haushalt, der in seiner Verantwortung beschlossen wird. Für die Zukunft wünschen wir ihm alles Gute und viele schwarze Nullen auf der richtigen Seite des Kommas.

Der Haushaltsplan 2007 ist insgesamt positiv. Nicht optimal – das kann er bei einer Neuverschuldung selbstverständlich nicht sein. Aber es wird einiges investiert und zusammen mit dem Investitionsplan zeigt er eine Perspektive auf. Allerdings stimmt die gesamte, von Kenzingen nicht zu beeinflussende Lage nicht nur optimistisch. Denn wir fragen uns, wie hoch das Wachstum einer Wirtschaft tatsächlich sein muss, damit auf allen Gebieten eine Verbesserung eintritt. Und täglich hören wir neue Meldungen über Klimaveränderungen und dennoch hört man von führenden Politikern und Wirtschaftsleuten nur die Parole: Ohne Kompromisse, Vorfahrt für Arbeit. Aber anscheinend findet hier erst ein Umdenken statt, wenn die ersten sicheren Schneegebiete in den Alpen zu Winderwanderregionen werden.

Aber das ist ein Blatt, das wir heute nicht beschreiben können.

Insgesamt ist der Haushalt positiv. Da gab es schon andere, bei denen mir, nach Erhalt und erster Durchsicht, nur die Anekdote von Max Reger einfiel:

Ein Kritiker hatte Max Reger fürchterlich verrissen. Reger schrieb ihm einen kurzen Brief: „Sehr geehrter Herr! Ich sitze hier im kleinsten Raum meines Hauses und lese ihre Kritik. Noch habe ich sie vor mir ... Hochachtungsvoll Max Reger“.

Da können wir heute gelassener sein.

Die ABL stimmt dem Haushalt zu.

Stefan Bilharz